Was ist, wenn ich „nervig“ bin? – oder wie gehst du mit dir selbst um? Selbstempathie und Selbstverbindung leben – Folge 2

mit Podcast und Übung

Podcast zum Text:

Lesezeit: 6 min

„Das war wieder typisch!“, „Wie konntest du nur?“, „Das habe ich schon wieder nicht geschafft!“, „Wie dumm von mir!“, „Ich bin nicht gut genug!“. Erinnerst du dich noch, an solche oder ähnliche ärgerliche Sätze an dich selbst? Und an die Option mit dir selbst in Verbindung zu sein? Schau dir nochmal in Ruhe das Bild vom GFK-Baum des Lebens von Inbal Kashtan an.

Bildquelle zum GFK-Baum des Lebens mit Text als pdf downloadbar von Inbal Kashtan: https://johngather.de/de/gfk-baum-des-lebens/

Die Selbstverbindung/ Selbstempthie bilden dabei die Wurzeln des Baumes. Und diese Wurzeln sind die Grundlage für die Verbindung mit anderen. Wenn wir genervt sind, uns über uns selbst ärgern, unter Spannung stehen, hilflos, frustriert, unzufrieden sind und nicht in der Lage sind, diesen Gefühlen Aufmerksamkeit zu schenken, mit ihnen umzugehen, dann wirkt sich das auf unsere Stimmung aus und mit dieser Stimmung in uns treten wir in Kontakt mit anderen – kein Erfolgsrezept. In der letzten Folge haben wir uns damit beschäftigt, was möglich ist, wenn wir mit uns selbst verbunden sind, welchen Unterschied, welchen Türöffner es für unsere Selbstverwurzelung bedeuten kann, wenn wir uns Zeit für uns nehmen, gerade wenn wir von uns genervt sind. Hinwendung zu uns selbst, zu unserer dann verletzlichen Seite in uns.

Die Option der Verbindung, der „Ast“, mit dem wir uns in dieser Folge beschäftigen wollen, ist die Empathie.
Wenn wir in einer empathischen Haltung sind, dann sehen wir nicht in erster Linie das „nervige“ Verhalten unserer Mitmenschen. Dann können wir unsere Verärgerung, die durch die Reaktion des* der anderen hervorgerufen werden kann, loslassen, tief Luft holen und uns anhören, worum der andere „ringt“. Empathie mit anderen bedeutet: Wir sind in Kontakt mit der*dem anderen, verbinden uns mit dem, was im anderen „lebendig“ ist, wir empfangen, hören zu, sind vollständig anwesend, „parken“ unsere Anliegen, unser Ego. Wenige Worte und Schweigen sind hilfreich. Wir wollen den anderen nicht verändern, was da ist, darf da sein. Wir geben Raum – im Vertrauen darauf, dass alles seinen Sinn hat und dass der Mensch, der sich mir anvertraut, seinen Weg findet, ohne dass ich lenken oder etwas tun muss. Das ist alles andere als einfach, wenn wir selbst im Kontakt mit dem*der Anderen in Anspannung, Verärgerung oder Aufregung sind. Vielleicht auch durch das, was die andere Person sagt oder tut. Empathie ist also nicht jederzeit möglich, sondern nur dann, wenn ich mich mit mir selbst verbunden fühle und Offenheit für das mitbringe, was im anderen Menschen „lebendig“ ist. Zuhören und innerlich ganz für den*die andere da sein ist oft genug und wer dies schon mal erlebt hat, der weiß, wie wertvoll es ist, wenn mir jemand wirklich zuhört, ohne Ratschlag, ohne „Das kenn ich auch.“, ohne Rückfrage.

Von Carl Rogers, der Marshall Rosenberg inspiriert hat, ist folgendes Zitat überliefert: “Empathisch zu sein bedeutet, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen und nicht unsere Welt mit seinen Augen”.

Mit Einfühlungsvermögen im Kontakt zu seine bedeutet demnach, die Situation des Gegenübers nicht aus meiner Sicht, sondern aus der Sicht des Gegenübers wahrzunehmen. Empathie bedeutet nicht, zu sagen, was ich selbst in der Situation des anderen tun würde, sondern vielmehr, was ich vermute was die andere Person in diesem Moment in dem sie*er mit mir spricht fühlt und braucht. Ich begebe mich also in die Betrachtung seiner*ihrer Situation und wie ich handeln würde, wenn ich seine*ihre Lebensperspektive hätte. Empathie erfordert daher eine intensive Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie die andere Person ihre Umwelt wahrnimmt und erlebt.

Empathisch sein ist, wie bereits erwähnt nonverbal möglich und hilfreich. Als weitere Möglichkeit können wir dann neben dem stillen Aufnehmen „empathische Vermutungen“ in Form von Gefühlen und Bedürfnissen anbieten, zum Beispiel in einem Gespräch, in dem es zwischen den Gesprächspartner*innen schon etwas „heiß“ hergeht, könnte ich sagen: „Bist du ratlos, weil wir wieder über dieses Thema sprechen und du es gerne so rüberbringen möchtest, dass wir eine für uns beide passende Lösung finden?“ So können wir der*dem anderen den Zugang zum eigenen Erleben erleichtern, ggf. manchmal, wenn wir wirklich in der Welt der*des anderen sein können, entschärft dies auch eine bereits angespannte Stimmung, weil ich mich zurücknehmen kann und will. Dies ist möglich, wenn ich nicht vorwurfsvoll, wertend, bevormundend oder sonstwie abgrenzend bin und mir die empathische Haltung zugänglich ist.

Empathie erfasst die Sehnsucht, die einen Menschen zum Handeln bewegt, unabhängig davon, wie er oder sie diese Sehnsucht umzusetzen versucht. Manchmal ist der Kontakt miteinander in solchen „heißen Phasen“ nicht so, dass wir leicht merken, dass da jemand versucht, sich Bedürfnisse zu erfüllen, sondern vielleicht eher so, dass wir am liebsten „zurückmotzen“ würden. Und wenn es uns dann gelingt, uns in die Welt des*der anderen hineinzuversetzen und einfühlsam zu werden, dann entsteht echte Verbindung – immer öfter.

Bildquelle: Bildausschnitt Prawny auf Pixabay

Und Empathie können wir ebenso wie Selbstempathie üben, um immer öfter solche Momente der verbindenden Begegnung mit uns selbst und mit anderen zu schaffen.

Die Gewaltfreie Kommunikation mit ihren drei Säulen – von denen du nun zwei etwas näher kennst, die Selbstempathie und die Empathie mit anderen – lädt uns dazu ein, mir mit den Wurzeln selbst empathisch zu begegnen, mich so zu sehen, dass ich meine Schönheit sehe – wie in der letzten Folge in dem Song von Marshall Rosenberg See me beautiful, ich denke du erinnerst dich noch. Das fördert mein Wachstum, meine Verbundenheit mit mir selbst. Und wenn ich mit mir selbst eine Sprache finde, die von Wohlwollen und wachsen dürfen geprägt ist und nicht von Selbstabwertung und klein machen, dann schafft das die Möglichkeit, die eigenen Bedürfnisse in einer Weise zu erfüllen, die uns selbst und die anderen empathisch im Blick hat.

Gerlinde Ruth Fritsch, GFK-Trainerin und Psychotherapeutin schrieb dazu: „Selbst-Empathie ist altruistisch motivierter Egoismus! Sie dient dazu, sich selbst zuzuwenden, und danach anderen Menschen – voll und ganz, geklärt und genährt. Ich kenne kein besseres Rezept für von Herzen kommendes Mitgefühl und für gute Beziehungen.“

Um deine Empathiefähigkeit zu trainieren, lade ich dich zu der Übung die dieser Folge beigefügt ist:
„Dich durch mein Herz sehen“ ein. Der Titel der Übung ist auch ein Buchtitel der Autorin Hanna Brodersen.

Mit dieser Übung lade ich dich ein, Empathie zu üben, denn alles, was wir üben, fällt uns im Alltag leichter.  – Ganz im Sinne von „Fake it till you make it“ 😊 .

Hast du schon einmal von der Strategie „Fake it till you make it“ gehört? Bei dieser Strategie geht es darum, so zu tun, als wäre ich bereits erfolgreich oder kompetent, um das eigene Selbstvertrauen zu stärken und den Eindruck zu erwecken, ein Experte zu sein. Auch das Einfühlungsvermögen fällt leichter, wenn wir unser Selbstvertrauen durch Übung stärken, so dass es uns im Kontakt mit anderen immer leichter fällt. Und auf wiederholtes Üben reagiert unser Gehirn in der Regel mit funktionellen und strukturellen Anpassungen. Das heißt, die benutzten Hirnareale differenzieren sich aus und die synaptischen Verbindungen werden stärker. Das ist vergleichbar mit einem Muskel, der durch regelmäßiges Training an Kraft gewinnt. Üben stärkt also sozusagen unseren „GFK-Muskel“ und lässt uns das was wir üben immer öfter im Alltag zu Verfügung haben – auch spontan.

Die klarseen-Übung zu dieser Folge ermöglicht es dir, nach „guten Gründen“ für das Verhalten einer Person zu suchen, die dich „nervt“ und dich so in ihre Welt hineinzuversetzen. Damit schließe ich die heutige Folge und freue mich, wenn du zur nächsten Folge wieder einschalten wirst. In dieser beschäftigen wir uns dann mit dem Selbstausdruck/ der Aufrichtigkeit gegenüber anderen.

Herzliche Grüße
Sabine Dieterle

„Dich durch mein Herz sehen“ – Empathie-Übung zur Folge 2:

Eintragen zum Newsletter, sodass du keine Seefunk-Folge verpasst?

Quellen zum Text und für’s weiter Umgehen mit dem Thema sind:

Gerlinde Ruth Fritsch:
Praktische Selbst-Empathie“, Junfermann-Verlag und
Der Gefühls- und Bedürfnisnavigator“, Junfermann-Verlag

Bildquelle zum GFK-Baum des Lebens und Text von Inbal Kashtan:
https://johngather.de/de/gfk-baum-des-lebens/