Wohin mit der Schuld beim Ent-„Schuld“-igen?

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Blogtext: Lesezeit: 5 min

Weihnachten steht vor der Tür. Geplant ist, die Feiertage mit der Familie zu verbringen. Kommen wird auch Tante Berta, die letztes Jahr so gemeine Sachen gesagt hat. Eigentlich willst du die nicht sehen oder wenn, dann soll sie sich wenigstens entschuldigen.

Kennst du diesen Gedanken auch, dass du willst, dass jemand sich bei dir für etwas entschuldigen soll? Was verbirgt sich dahinter? Was bringt es uns, wenn sich jemand bei uns entschuldigt? Welche Bedürfnisse erfüllen sich dann?

Wenn sich jemand bei mir ent-„Schuld“-igt? Heißt das dann, dass er oder sie zuerst die Schuld an etwas hatte und mit der Entschuldigung nimmt sie*er sich diese Schuld? Es heißt ja, „ich entschuldige mich“…Oder ist die Schuld erst dann weg, wenn ich die Entschuldigung auch angenommen habe?

Und was bringt es mir überhaupt, wenn sich jemand, z.B. Tante Berta bei mir entschuldigt? Wir glauben, dass hinter dem Wunsch nach einer Entschuldigung noch ganz andere Wünsche und Bedürfnisse versteckt sind.

Wenn Tante Berta sich bei mir entschuldigt, dann heißt das vielleicht, dass sie die Schuld auf sich nimmt. Dann ist also sie verantwortlich und nicht ich, dass die Stimmung am letzten Weihnachtsfest so schlecht war. Dann brauche ich selbst kein schlechtes Gewissen zu haben, dann erfüllt sich mir z.B. das Bedürfnis nach Leichtigkeit.

Und wenn Tante Berta sich entschuldigt, dann heißt das vielleicht auch, dass sie einsieht, dass ihr Verhalten für mich unangenehm war. Dann macht sie es vielleicht dieses Jahr nicht mehr und ich kann ein schönes Weihnachtsfest haben. Dann erfüllen sich für mich beispielsweise die Bedürfnisse Entspannung, Freude, Zuversicht.

Es lohnt sich also immer, wenn ich den Wunsch habe, dass sich jemand bei mir entschuldigt, für mich zu klären, welche Bedürfniserfüllung ich mir davon verspreche.

Die andere Seite ist, wenn ich selbst den Impuls habe, mich zu entschuldigen. Welche Bedürfnisse möchte ich mir damit erfüllen?

Ich möchte die Verantwortung für mein Tun übernehmen. Ich möchte sagen, dass mir das, was ich getan habe leid tut. Vor allem aber möchte ich wohl, dass die „Schuld“ von mir genommen wird. Dass es wieder gut ist. Ich möchte also Kontakt, Zugehörigkeit. Vielleicht auch Leichtigkeit, Liebe, Angenommen sein.

Tue nicht‘s aus Angst, Schuld, Scham, Pflicht oder um mehr geliebt zu werden. Erwarte auch nicht von anderen, dass sie etwas aus Angst, Schuld, Scham oder Pflicht für dich tun. Tue alles nur mit der Freude eines kleinen Kindes, das eine hungrige Ente füttert.“ Marshall B. Rosenberg

In der Gewaltfreien Kommunikation gibt es das Konzept des sich Entschuldigens nicht. Stattdessen können wir unser Bedauern ausdrücken. Wir können sagen, dass wir das, was wir getan haben, bedauern, weil sich durch unser Tun Bedürfnisse nicht erfüllt haben. Das klingt kompliziert und ist auch tatsächlich erst einmal ungewohnt. Im folgenden Beispiel wollen wir dir verdeutlichen, was es mit dem Bedauern auf sich hat:
Joel war gestern mit seinem Freund Alex verabredet. Bei Joel war aber gestern viel los und er hat die Verabredung vergessen. Alex hat also vergeblich auf ihn gewartet und ihn auch telefonisch nicht erreicht. Er ruft Joel am nächsten Tag an und fragt, was los war.

Joel könnte in der Haltung des Bedauerns nun also sagen:

„Wir waren gestern verabredet und ich bin nicht gekommen… (Beobachtung).

…das bedaure ich, … (Gefühl),

…weil mir Zuverlässigkeit wichtig ist. (Bedürfnis).

Magst du mir sagen, wie das für dich ist, wenn du das hörst (Bitte)?

Joel drückt also aus, welche Bedürfnisse bei ihm selbst unerfüllt sind. Er übernimmt Verantwortung für sein eigenes Tun, seine eigenen Gefühle und seine eigenen Bedürfnisse. Er bleibt mit Alex auf Augenhöhe, weil er nicht als Bittsteller kommt (kein „Bitte ent-SCHULD-ige mich.“).

Durch die Beziehungsbitte („Magst du mir sagen, wie das für dich ist, wenn du das hörst?“), bleibt Joel mit Alex in Kontakt und gibt auch ihm die Möglichkeit, über seine Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen.

„Ich unterscheide bedauern und entschuldigen. Wenn ich mich entschuldige, gebe ich zu, dass ich ein schrecklicher Mensch bin und Strafe verdient habe. Wenn ich bedauere, dann gehe ich auf eine sehr viel tiefere Ebene in mir. Ich setze mich mit meinem eigenen Schmerz auseinander.“ Marshall B. Rosenberg

Wenn wir also unser Bedauern ausdrücken, wollen wir dem anderen sagen, dass uns etwas leid tut, dass wir etwas gesagt oder getan haben oder dass etwas passiert ist, das wir so nicht gewollt haben. Eine andere Handlungsweise stand uns zu diesem Zeitpunkt nicht zur Verfügung oder wir konnten nicht abschätzen, was unser Handeln für unser Gegenüber bedeutet.

„Verletzlichkeit hört sich an wie Wahrheit und fühlt sich an wie Mut. Wahrheit und Mut sind nicht immer bequem, aber sie sind niemals Schwäche.“ Brené Brown

Und wohin jetzt nun also mit der Schuld beim Ent-„Schuld“-igen?
Wohin mit der Schuld beim Bedauern?
Wir können sowohl mit dem Menschen, dem wir unser Bedauern ausdrücken, in Kontakt treten, als auch mit unserem Anliegen sichtbar werden. Sichtbar werden als Person mit dem, was wir bedauern. Und wir können zuvor unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse klären und uns so zunächst mit uns selbst verbinden, also einen tieferen Zugang zu uns selbst finden, jenseits von Schuld und Scham.

Dann können wir uns  – wie im obigen Beispiel Joel in 4 Schritten- so zeigen, dass die Person, der wir unser Bedauern ausdrücken, einen Zugang zu unserem Anliegen findet und verstehen kann, warum wir so gehandelt haben, wie wir gehandelt haben. Wir zeigen uns verletzlich und mutig zugleich.

Wir wünschen Dir frohe, mutige und milde Advents- und Weihnachtstage mit Begegnungen mit Dir selbst und anderen, die Dir gut tun!

Herzliche Grüße
Daniela Bauer & Sabine Dieterle

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