Wertschätzung statt Applaus: Wie wir echte Verbindungen schaffen

Wertschätzung versus Lob

Blogtext (für die Visuellen), Lesezeit ca. 8 min,
Podcast (für die Auditiven)
Und Übungsblatt um deine persönlichen „Wert-Schätze“ zu finden.
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Podcast zum Text:

Blogtext: Lesezeit: ca 8 min

In unserem Alltag erleben wir Momente, in denen wir Anerkennung ausdrücken möchten. Oft greifen wir dabei zum Lob. Doch was ist der Unterschied zwischen Lob und Wertschätzung und wie beeinflussen diese Formen der Kommunikation unsere zwischenmenschlichen Beziehungen? In dieser Folge des Seefunks möchte ich auf die Unterschiede eingehen und anhand von Alltagssituationen verdeutlichen, wie Wertschätzung eine tiefere Verbindung schafft, während Lob – und hier knüpfen wir an den letzten Seefunk an – als Kommunikationssperre und Dominanzstrategie wirken kann.

Lob: Bittersüße Harmonie

Lob dient häufig dazu, einer Person oder sich selbst ein positives Gefühl zu vermitteln.  Es stellt eine Form von Feedback dar. Allerdings verrät es in der Regel wenig darüber, was genau ich an der Person wertschätze oder auf welche spezifische Handlung sich das Feedback bezieht. Zum Beispiel könnte ein Lehrer zu einem Schüler sagen: „Das hast du gut gemacht!“ Eine Nachbarin könnte zu einer anderen sagen: „Dein Zwetschgenkuchen ist einfach unnachahmlich!“ Eine Frau könnte zu ihrer Partnerin sagen: „Du siehst toll aus in diesem Outfit“. Ein Erzieher könnte zu einem Kind sagen: „Du kannst toll schneiden. Das ist richtig schön geworden, was du da gebastelt hast“! Eine Chefin könnte zu ihrem Team sagen: „Das war echt eine gute Performance. Ihr seid einfach ein Spitzenteam!“ Das klingt alles schön und gut, vermittelt aber oft nicht das, was an der Art und Weise der gelobten Person geschätzt wird. Mehr noch, es hat einen bittersüßen Beigeschmack, eine irritierende Dimension. Wenn wir gelobt werden, schwingt oft der Verdacht mit, dass ich das Lob nur bekomme, weil derjenige, der mich lobt, möchte, dass ich etwas tue oder unterlasse. Das gelobte Verhalten soll also verstärkt werden, ohne dass dies offen gesagt wird.

Lob wird oft als Dominanzstrategie empfunden. In solchen Fällen ist es weder angenehm noch annehmbar. Es versetzt die lobende Person in eine überlegene, bewertende und urteilende Rolle. Dies führt zu einem Ungleichgewicht in der Beziehung, da die Person, die gelobt wird, sich in einer abhängigen Position erleben kann. Lob wird auch dazu benutzt, kritisches Feedback einzuleiten. Lob kann Druck erzeugen, da es an bestimmte Leistungen geknüpft ist, die dazu führen, dass die gelobte Person versucht, sich das Lob erneut zu verdienen. Wir sind dann darauf angewiesen, dass andere das Ergebnis unseres Handelns als „gut“ und „richtig“ bewerten. Sich so zu verhalten, dass ich Lob bekomme, wird dann zu einer Strategie, um Bedürfnisse, wie z.B. Liebe oder Akzeptanz zu nähren. Diese Art der Kommunikation beeinflusst das eigene Selbstbild und Selbstwertgefühl stark, da es von der Wahrnehmung anderer abhängt. Die Ausrichtung des eigenen Handelns, z.B. bei einem Kind, das Süßigkeiten, Geld oder verbales Lob für das Aufräumen des Zimmers erhält, richtet sich dann weniger nach innen, nach den eigenen Bedürfnissen, sondern nach der extrinsischen Motivation durch Lob oder Geschenke.

Drücke Wertschätzung aus, weil Du etwas feiern, und nicht, weil Du manipulieren willst.“ Marshall Rosenberg

Wertschätzung: Eine tiefere Verbindung schaffen

Im Gegensatz zum Lob geht es bei der Wertschätzung um das Erkennen des individuellen Wesens eines Menschen und seiner Stärken, seiner „Wert-Schätze“, wie Birgit Brand-Hörsting es nennt. Wertschätzung geht über die Bewertung einer Leistung hinaus und schafft eine Verbindung auf Augenhöhe. Die Person, die ihre Wertschätzung ausdrücken möchte, geht in Verbindung und wird sichtbar mit dem, was sich für sie*ihn erfüllt hat durch das Tun der anderen Person. Ein Beispiel könnte der folgende Dialog eines Erziehers mit einem Kindergartenkind sein:

E: „Ich freue mich sehr über dein Bastelprojekt! Mir hat gefallen, dass du weitergearbeitet hast, auch nachdem du dich über einen Schnitt geärgert hast.“

K: „Ja, ich wollte erst alles hinschmeißen, aber ich wollte es auch schaffen.“

E: „Dass du am Ball geblieben bist und es zu Ende gebracht hast, finde ich stark. Ich habe jetzt richtig Lust wieder ein neues Bastelprojekt zu starten. Da wachsen deine und meine Fähigkeiten. Danke, dass du mitgemacht hast!“

K: „Hat ja Spaß gemacht und das Adventshaus ist cool, das zeige ich Oma, wenn sie mich abholt!“

Was macht nun also die Wertschätzung in diesem Beispiel aus?

  1. Zunächst wahrscheinlich die Länge des Satzes/Dialogs. Das kann abschreckend wirken, man denkt vielleicht: „So redet doch kein Mensch“. Gleichzeitig geht dem eine Reflexion und Beschäftigung mit mir selbst als Person, die Wertschätzung ausdrücken möchte, voraus, z.B. mit der Frage: „Was genau erfüllt sich in diesem Moment für mich?“, „Was hat die andere Person getan oder gesagt, dass ich Wertschätzung ausdrücken möchte?“. Dadurch entsteht erst Nähe und Verbindung zu mir selbst und dann Verbindung zum anderen.
  2. Ich drücke meine Gefühle aus: Der Satz beginnt mit „Ich freue mich“, was eine authentische emotionale Reaktion zeigt. Dadurch, dass ich es als Gefühl benenne, das ich wirklich empfinde, und nicht als Floskel, zeige ich mich als sprechende Person und werde sichtbar.
  3. Beobachtung: Ich erzähle, was ich als sprechende Person beobachtet habe, ich schaffe Bezug zu meiner Wahrnehmung. Zeige mich, wie ich diesen Moment erlebt habe.
  4. Meine Bedürfnisse transparent machen: Ich erkenne die Anstrengung des Kindes an und mache sichtbar, was es für mich bedeutet, dass das Kind sich anstrengt, z.B. wirksam zu sein oder im Miteinander etwas Sinnvolles oder Erfüllendes zu gestalten.
  5. Verbindung ermöglichen: Indem ich mich zeige mit meinen Gefühlen und Bedürfnissen, schaffe ich Verbindung. Ich werde dadurch nahbar als Mensch.
  6. Dankbarkeit: Der abschließende Dank ist eine Geste der Wertschätzung, die die Verbindung stärkt. Ich bedanke mich für etwas, das ich bekomme. Ich mache mir selbst bewusst, wofür ich dankbar bin.

Bei dieser Wertschätzung wird nicht nur die Leistung gewürdigt, sondern auch der Prozess und das Engagement des Kindes benannt. Diese Art der Rückmeldung fördert die Erfahrung der Zugehörigkeit und stärkt die Beziehung zwischen den Beteiligten. Wertschätzung eröffnet den Dialog und ermutigt dazu, mehr zu teilen und zu wachsen.

Wertschätzung ist eine tiefere, bedingungslose Anerkennung des Gegenübers und seiner Qualitäten oder Handlungen. Sie beruht auf einer echten Verbundenheit und einem Verständnis für die Bedürfnisse, die hinter einem Verhalten stehen. Wertschätzung wird nicht als Bewertung verstanden, sondern als Ausdruck von Dankbarkeit und Anerkennung. Es können angenehme Gefühle und Körperempfindungen wie Wärme, Kribbeln im Bauch, Freude, Stolz, Erleichterung, Ruhe ausgelöst werden. Wertschätzung kann auch dazu beitragen, dass eine Person sich selbst mehr wertschätzt, unabhängig von der Meinung anderer. Birgit Brand-Hörsting schreibt: „Wertschätzung und Anerkennung führen zu einer intrinsischen Motivation, weil sie unser inneres Motivationssystem befeuern: Dopamin, Endorphine und Oxytocin werden ausgeschüttet.“ Dopamin erzeugt ein Gefühl des Wohlbefindens und versetzt uns sowohl körperlich als auch psychisch in einen Zustand der Handlungsbereitschaft. Endorphine wirken beruhigend, schmerzlindernd und erzeugen Glücksgefühle. Oxytocin ist das Bindungshormon, es stärkt unsere Fähigkeit zu vertrauen und fördert soziale Bindungen.

Auch beim Loben werden die beschriebenen Hormone ausgeschüttet. Da ich bei einem Lob wie „Schön, dass es dich gibt!“ wenig Informationen darüber bekomme, was genau an unserem Miteinander als „schön“ erlebt wird, verblasst die Erinnerung an ein Lob meist schnell. Ein Lob berührt mich kurz, bleibt aber weniger nachhaltig in meiner Erinnerung. In der Haltung der Wertschätzung entsteht ein vollständigeres Bild, sowohl bei der sendenden als auch bei der empfangenden Person. Die Hormonausschüttung kann dadurch intensiver und auch mehrfach erfolgen, da durch die Erinnerung an das konkret Gesagte oft ein gemeinsames Erleben wieder lebendig wird.

Wertschätzung annehmen: Die Fähigkeit, sich selbst wert zu schätzen

Es ist am Anfang ungewohnt Wertschätzung auszudrücken – und ebenso, sie zu hören.  Daher wird sie auch nicht immer auf eine Art empfangen, die es uns im Miteinander leicht macht in Verbindung zu kommen. Es können Sätze fallen wie: „Passt schon“ oder „Das ist doch selbstverständlich.“ oder „Das kann doch jeder.“ Die Gründe für solche Reaktionen können vielfältig sein: vielleicht bin ich unsicher, ob ich die Wertschätzung verdiene, die mir entgegengebracht wird, oder ich bin es gewohnt, lieber etwas „tiefer zu stapeln“, um nicht als überheblich zu gelten, aber auch die ungewohnte Nähe, die durch Wertschätzung zum Gegenüber und zu mir selbst entsteht, kann manchmal eher abwehrende oder sich selbst schützende Reaktionen auf Wertschätzung auslösen. Bei der Annahme von Wertschätzung spielt auch die bereits erwähnte Befürchtung eine Rolle, dass Wertschätzung nur dazu dient, dass der andere etwas von mir bekommt, was er will. Wertschätzung kann dann als eine Form der Manipulation empfunden werden, vor der ich mich z.B. durch einen der oben genannten Sätze schützend distanziere. Es spielt also in jedem Fall eine Rolle, in welcher Haltung ich mich befinde, wenn ich Wertschätzung ausspreche und auch in welcher Haltung ich Wertschätzung empfange. Entscheidend ist, sich gegenseitig auf Augenhöhe zu begegnen und sich der eigenen Gefühle und Bedürfnisse bewusst zu sein.

Wertschätzung zu empfangen und anzunehmen fördert die Verbundenheit. Ein einfaches „Toll gemacht!“ bekommt als Wertschätzung mehr Text und Bedeutung, es wird klarer, wie das Leben der anderen Person bereichert wurde. Nur wenn ich an die positive Auswirkung meines Handelns auf das Leben des anderen glaube, kann ich Wertschätzung wirklich erfahren und genießen. Dazu ist eine wertschätzende Beziehung zu mir selbst notwendig, denn wenn ich mich selbst wertschätze, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass ich glaube, dass andere mir Wertschätzung entgegenbringen. Dabei ist es wichtig, sich den eigenen Ängsten und Zweifeln zu stellen. So formuliert es Marianne Williamson:

„Unsere tiefste Angst ist nicht,
dass wir unzulänglich sind. […]
Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit,
was uns am meisten Angst macht.“

Um anderen vertrauen zu können, dass sie meinen, was sie sagen, ist es wichtig, sich selbst wertzuschätzen. Das kannst du mit der Übung „Wert-Schätze“ üben, die du unterhalb der Folge downloaden kannst. Und wenn du immer öfter wertschätzend mit dir selbst umgehst, wird es dir auch leichter fallen, anderen deine Wertschätzung auszudrücken und Wertschätzung von anderen anzunehmen. Es geht darum, sich seiner erfüllten Bedürfnisse und der damit verbundenen angenehmen Gefühle bewusst zu werden. Marshall B. Rosenberg nannte dies:

„Celebration of Life“

– sich selbst, andere und das Leben feiern.

Übungsmöglichkeiten, um GFK-Vokabeln zu lernen und immer mehr alltagstaugliche Worte zu finden, sich selbst und anderen Empathie zu schenken und die Qualität der Aufrichtigkeit zu durchdringen, gibt es in der Übungsgruppe See-Zeit. Seit September NEU Online mit alltagstauglichen einstündigen Terminen und weiterhin samstags in Präsenz – aktuelle Termine findest du hier.

Im nächsten Seefunk geht es um Selbstempathie und die Beziehung zum eigenen Autopiloten. Was kannst du konkret tun, um Momente zu gestalten, in denen du dich als getriggert erlebst? Wie findest du Zugang zu dir selbst und deinen inneren Anteilen, die in Aufruhr sind? Wir werden erforschen, wie die Entwicklung eines inneren Dialogs mit deinen verschiedenen Teammitgliedern dir helfen kann, emotionale Herausforderungen besser zu bewältigen. Du wirst konkrete Möglichkeiten kennenlernen, die du üben kannst und die dich in außergewöhnlichen Momenten wieder mit dir selbst in Kontakt bringen.

Herzlichen Gruß zu dir, Sabine Dieterle


Quellen zum Artikel und zur weiteren inhaltlichen Vertiefung:

Hanna Brodersen: Dich durch mein Herz sehen – Gewaltfreie Kommunikation für Eltern,
tologo verlag

Birgit Brand-Hörsting: Wertschätzende Kommunikation für Pflegefachkräfte und Ärzte, Junfermann Verlag

Barbara Leitner: Gewaltfreie Kommunikation in der KiTa – Wertschätzende Beziehungen gestalten – zu Eltern, Kindern, im Team und zu sich selbst, Junfermann Verlag

Beate Brüggemeier: Wertschätzende Kommunikation im Business, Junfermann Verlagdern.

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