Autopilot aus – Selbstempathie an

Wege zu innerer Balance

Blogtext (für die Visuellen), Lesezeit ca. 10 min,
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Blogtext: Lesezeit: ca. 10min

Dieser Seefunk hat etwas auf sich warten lassen. Er ist damit in gewisser Weise Ausdruck von  Selbstfürsorge, vom Einfühlen in mich selbst, und steht  für das Priorisieren von Aufgaben und für etwas sein lassen oder später tun. Nun habe ich wieder Lust einen Seefunk zu schreiben.
Wie passend, dass es dabei um Selbstempathie und den Umgang mit Triggermomenten geht. Das Thema liegt mir am Herzen.

Wenn wir uns belastet fühlen oder einen Moment erleben, indem wir uns als getriggert beschreiben, schaltet unser innerer Autopilot oft auf „Überleben“ und wir reagieren impulsiv, ohne wirklich nachzudenken. Was wäre, wenn wir lernen könnten, in diesen Momenten innezuhalten und uns selbst mit Empathie zu begegnen? In diesem Blogbeitrag werden wir erkunden, wie Selbstempathie und ein bewusster innerer Dialog mit unseren verschiedenen inneren Anteilen uns helfen können, emotionale Herausforderungen besser zu bewältigen

„Ich gebe Ratschläge immer weiter, es ist das Einzige, was man damit anfangen kann.“ Oscar Wilde

Ganz im Sinne von Oscar Wilde soll dies keine Sammlung von guten Ratschlägen sein, sondern eine Sammlung von Erfahrungen und Impulsen zum Thema. Meist gibt uns das Leben genügend Hinweise, um zu erkennen, dass unsere bisherigen Lebensmuster uns in herausfordernden Momenten nicht weiterhelfen. Dann geht es um deine persönliche Entscheidung, den Moment zu finden, in dem du anfängst, dir selbst immer öfter mit Empathie zu begegnen.

„Verstehen kann man das Leben oft nur rückwärts, doch leben muss man es vorwärts.“ Søren Kierkegaard

So gibt es immer wieder Momente, die wir im Nachhinein, mit Blick auf unsere eigene Geschichte, verstehen können. Mit Blick auf die gemachten Erfahrungen begreifen wir, warum wir getriggert wurden, warum wir in diesem Moment besonders stark reagiert haben, möglicherweise so stark, dass wir uns selbst Vorwürfe machen, z.B. mit einem Gedanken wie: „Da habe ich total überreagiert“. Im Weiterleben, im Vorwärtsgehen können wir dann beginnen, neue, eigene, stimmige Strategien der Selbstempathie und Selbstfürsorge zu entwickeln und im eigenen Leben zu festigen.

Ich möchte an einem persönlichen Beispiel beschreiben, worum es mir in diesem Seefunk geht:

In den Wochen vor dem Jahreswechsel habe ich immer wieder gemerkt, dass mein Akku leerer ist, als mir lieb ist, und mein Autopilot manchmal schnell um die Ecke kommt. Ich möchte einen Moment teilen. Ich wollte mit dem Zug eine Freundin besuchen. Voller Vorfreude kam ich am Bahnhof an, und wurde auf dem Bahnsteig mit der  Durchsage überrascht, dass der Zug heute entfällt. Soweit ein Moment, den ich mit einem Augenrollen, einem genervten Satz oder auch mit Humor gestalten könnte. Nicht in diesem Moment. Ich hatte sofort Tränen in den Augen und fühlte mich innerlich mutlos, hilflos und überhaupt nicht in der Lage, diesen Moment zu ertragen. Gedanken wie: „Das halte ich nicht aus.“, „Das schaffe ich heute nicht.“ sorgten für inneren Aufruhr und ich fühlte mich unfassbar erschöpft und allein.

Wie wir uns in solchen Momenten halten, aushalten und unsere inneren Anteile begleiten können, dazu möchte ich dir in diesem Seefunk Impulse anbieten.

Die Herausforderung des Moments

Wie wichtig es ist, gerade in solchen emotionalen Notsituationen einen Zugang zu sich selbst zu finden, konnte ich in diesem Moment deutlich spüren. Früher hätte ich vielleicht versucht, meine Gefühle zu unterdrücken oder mit einem inneren Kommentar wie: „Reiß dich zusammen. Das geht jetzt nicht.“ zum Verstummen zu bringen? Und ich hätte mir damit zusätzlich Gewalt angetan. Rückblickend ist mir bewusst geworden, wie sehr ich in den letzten Jahren mein Verhalten in Notsituationen zu meinem eigenen Wohl verändert habe. Nach einem ersten Moment völliger Hilflosigkeit gelang es mir, Abstand zu gewinnen, mich zu regulieren und so wieder Zugang zu verschiedenen inneren Anteilen zu finden. Ein Satz, den ich mir vorher oft gesagt hatte: „Du bist mehr als dieses starke Gefühl jetzt“, half mir aus der ersten inneren Unruhe heraus. Der erste Schritt zur Selbstempathie besteht darin, Zugang zu den verschiedenen inneren Anteilen zu finden. Zugang zu denen, die unruhig sind und Beruhigung brauchen, um auch die Anteile wieder wahrzunehmen, die Ressourcen mitbringen, um diesen Moment auszuhalten und zu gestalten. Innere Anteile repräsentieren verschiedene Facetten unserer Persönlichkeit, die oft mit unterschiedlichen Lebensphasen und Erfahrungen verbunden sind. Ein innerer Anteil aus der Kindheit kann zum Beispiel Unschuld, Neugier oder das Bedürfnis nach Schutz verkörpern, während ein innerer Anteil aus der Jugend eher von Rebellion und Identitätssuche geprägt ist. Diese Anteile beeinflussen unser Verhalten und unsere Gefühle. Sie zu kennen, kann uns helfen, unsere aktuellen Reaktionen besser mit vergangenen Erfahrungen in Verbindung zu bringen. So können wir immer besser verstehen, was jeder Teil braucht, um sich zu beruhigen. Ein jugendlicher Teil braucht vielleicht die Gewissheit, gehört zu werden und wichtig zu sein. Ein kindlicher Teil eher Schutz, in den Arm genommen zu werden, gehalten und geborgen zu sein.

Zugang zu dir selbst finden – den Atem als Anker nutzen

In der Situation am Bahnhof, als der Zug nicht wie geplant fuhr, hielt ich inne. Ich atmete tief durch. Um mich zu zentrieren und das Gefühl der Überforderung zu lindern, konzentrierte ich mich auf meinen Atem. Ich merkte, dass mein Körper angespannt war. Bewusst länger auszuatmen als einzuatmen half mir, die Anspannung und das Gefühl der Hilflosigkeit erst einmal da sein zu lassen und auszuhalten. Das war ein kleiner, aber entscheidender Schritt, um die Gefühle und Emotionen, die mich in diesem Moment überwältigten, zu regulieren.

Unterbrechung schaffen – Sinne nutzen

Um mich zu halten und den Moment auszuhalten, benutzte ich meine Sinne.

Spüren: Ich habe mich auf meinen festen Stand auf dem Boden konzentriert, mich im Hier und Jetzt geerdet. Durch das Spüren des eigenen Standorts kann man wieder Stabilität und Erdung erfahren. Gleichzeitig habe ich meine Hände zu Fäusten geballt und dadurch meine Kraft gespürt.

Wahrnehmen: Ich begann, mich auf dem Bahngleis umzuschauen und runde Dinge zu zählen, dann suchte ich alle Uhren. Die Technik des Zählens von Dingen als Strategie in emotionalen Notsituationen funktioniert, indem sie hilft, den Fokus von belastenden Gedanken oder Emotionen abzulenken und die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken.

Eine andere Möglichkeit ist, sich auf das Zuhören zu konzentrieren: Stell dir vor, du hörst die beruhigenden Geräusche des Bahnhofs – das Rascheln der Menschen, das leise Klopfen der Koffer auf dem Boden, Wind, wie er im Bahnhof hörbar wird. Indem ich mich auf diese Geräusche konzentriere, kann sich mein innerer Aufruhr ein wenig beruhigen. So kann ich mich zum Beispiel daran erinnern, dass ich nicht allein bin und dass es um mich herum viele Menschen gibt, die auch ihren Weg finden.

Auch das Schmecken kann eine Möglichkeit sein, den emotionalen Aufruhr zu lindern. Ein Kaugummi, der schnell zur Hand ist, ein Bonbon oder ein Apfel. Sich darauf zu konzentrieren, den Geschmack und die Textur bewusst zu erleben, kann die Gedanken von der negativen Spirale ablenken und uns helfen, wieder in Kontakt mit uns selbst zu kommen.

Riechen kann eine einfache, aber effektive Methode sein, um in stressigen oder emotional herausfordernden Momenten einen Moment der Ruhe und Achtsamkeit zu finden. Es ist eine wertvolle Ergänzung zu anderen Strategien zur emotionalen Regulierung. So gibt es beispielsweise Duft-Roll-Ons für die Anwendung zu Hause oder unterwegs. Diese können auf Handgelenke, Nacken und Schläfen aufgetragen werden. Die wohltuende Duftwirkung der ätherischen Öle wird dann spürbar.

Selbstbeobachtung und das innere Team aktivieren

Wieder zurück zu meinem Bahnhofsmoment: Ich begann, meine Emotionen zu beobachten und mir die Frage zu stellen: „Was fühle ich gerade?“ Ich erkannte, dass es nicht nur die Enttäuschung über den Zug war, sondern auch die Erschöpfung, die sich in den letzten Wochen angesammelt hatte. Mein inneres Team meldete sich zu Wort. Meine innere Kritikerin schimpfte: „Warum hast du nicht schon mal in der DB-App nachgeschaut, ob der Zug auch fährt?“, Ein junger kindlicher Anteil fühlte sich allein und hilflos, während meine Beschützerin versuchte, mich vor weiteren Enttäuschungen zu bewahren: „Mach jetzt nicht’s, dann kann auch nichts schief gehen.“ In diesem Moment entschied ich mich, mit diesen inneren Anteilen in Dialog zu treten. Ich sprach leise zu mir selbst: „Es ist okay, dass du dich so fühlst. Du bist müde und hast in den letzten Wochen und Monaten viel geleistet. Und dabei hast du vielleicht nicht immer so gut auf dich selbst aufgepasst wie sonst. Lass uns gemeinsam einen Weg finden, mit dieser Situation umzugehen.“ Diese Form der Selbstempathie half mir, die Welle der Gefühle anzunehmen, anstatt mich im Hin und Her der inneren Anteile noch mehr zu erschöpfen. Und siehe da, plötzlich wurde meine Zuversicht hörbar: „Du schaffst das schon, es ist ja nicht das erste Mal, dass du am Bahnhof wartest“. Mit meinem humorvollen Anteil konnte ich dann auch wieder meine Handlungsfähigkeit erleben: „Du wolltest Ruhe und eine Pause, jetzt hast du sie, sogar mit frischer Luft“. „Setz dich mal auf die Bank und schau ganz in Ruhe nach, wann der nächste Zug fährt.“

Anspannung loslassen

Nachdem ich mit meinen inneren Anteilen, Gefühlen und Emotionen in Kontakt gekommen war, machte ich einen kurzen Spaziergang auf dem Bahnsteig. Die frische Luft half mir, meine Gedanken zu klären und meine körperlichen Empfindungen zu regulieren. Ich bewegte mich bewusst, vertiefte meine Atmung und ließ durch das bewusste Gehen die Anspannung in meinem Körper los. Dabei stellte ich mir vor, dass ich mich in einer sicheren Umgebung befinde und mein Ziel heute sicher erreichen werde. So konnte ich mich langsam entspannen und auch die innere Unruhe loslassen.

Selbstregulation ist Übung

Um sich in einem solchen Moment zu halten, braucht es Übung – Strategien, die mir  hilfreich sind und auf die ich nicht erst in einer Notsituation zurückgreife. Damit mir diese in einem triggernden Moment  zur Verfügung stehen, ist es hilfreich, wenn ich mich im Vorfeld immer wieder mit diesen Strategien vertraut mache und  sie einübe, sie in mein Repertoire aufnehme. Dann kann ich auch auf sie zurückgreifen, wenn ich mich in einem Moment befinde, in dem mein Autopilot übernimmt.

Impulse und Quellen für Selbstregulationsstrategien

Im Folgenden möchte ich dir einige Möglichkeiten vorstellen, die du ausprobieren kannst, um deine Selbstregulation zu verbessern:

Atmung: Ein sehr kraftvolle Möglichkeit ist die Konzentration auf die Atmung. Hier stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, die dich dabei unterstützen können, z.B. die 4-6-8 Atmung: Atme langsam und tief durch die Nase – zähl dabei bis 4. Halte dann die Luft an und zähl bis 6. Zum Schluss atmest du langsam durch den Mund aus und zählst bis 8. Es gibt viele weitere Atemtechniken, die z.B. in Yoga- und Meditationskursen geübt werden können.

SOS- Übungen nach Kati Bohnet
SOS-Techniken nach Kati Bohnet: Diese Techniken bieten einfache, sofort umsetzbare Strategien, um in emotionalen Krisen Ruhe zu finden. Dazu gehören Atemübungen, das Fokussieren auf den Körper und das Visualisieren eines sicheren Ortes. Die Übungen basieren auf verschiedenen Techniken (z.B. neurobiologischem Wissen über die Funktionsweise von Nervemsystem und Gehirn, Somatic Experiencing, Polyvagal-Theorie, Handmodell des Gehirns von Dr. Daniel Siegel, Sounder Sleep System, Chinesischer Ohrakupunktur, Atemtherapie, …) und wurden von Kati Bohnet zusammen gestellt.
https://helperscircle.de/s-o-s-uebungen/
helpers circle Mitmachvideo Emotionale Erste Hilfe Stressregulation: https://www.youtube.com/watch?v=hEc3seGK-mw

Body2Brain-Übungen zur Entspannung
Auch der folgende Buchtipp hält praktische Selbstregualtionstipps bereit:
, Claudia Croos-Müller:  „Kopf hoch – das kleine Überlebensbuch: Rein in den Körper, raus aus dem Tief“. Aus dem Klappentext: “ Bei emotionalen Durchhängern lässt sich die Psyche am einfachsten über den Körper beeinflussen.
Und es gibt auch die App, mit den besten Übungen aus allen Büchern von Frau Croos-Müller, zum Nachmachen, egal, ob in der Arbeit oder zu Hause. Du fühlst dich ausgebrannt oder gestresst? Diese App hat die richtige Übung für dich. https://www.penguin.de/lp/body2brain-app


Empathisches Coaching
Möchtest du unter Anleitung mit deinen inneren Anteilen in Kontakt kommen, sie kennen und verstehen lernen? Empathie erfahren, besonders für die Anteile, die du vielleicht nur schwer akzeptieren kannst und deren Bedeutung für dein Leben du wahrnehmen möchtest?
Dann melde dich für ein Empathisches Coaching bei Klarseen an.


Selbstempathie praktizieren: Selbstempathie ist die Grundlage für eine gesunde Beziehung zu sich selbst und zu anderen. Sie ermöglicht uns, unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, zu akzeptieren und zu respektieren. Es geht darum, sich die Zeit zu nehmen, in sich hineinzuhören und die eigenen Gefühle zu erforschen, anstatt sie zu ignorieren oder zu unterdrücken. Selbstempathie bedeutet, die Bedürfnisse zu verstehen, die hinter unseren Gefühlen stehen. Diese Bedürfnisse zu erkennen und auszudrücken ist entscheidend, um mit uns selbst in Kontakt zu bleiben und unsere Lebensqualität zu verbessern. Dadurch entsteht ein innerer Dialog. Anstatt sich selbst zu kritisieren oder abzuwerten, sprechen wir mit uns selbst wie mit einer:einem guten Freund:in. Dieser einfühlsame Umgang mit sich selbst fördert das Wohlbefinden und die Selbstakzeptanz. Damit dies im Akutmoment gelingt, bedarf es Übung. Nimm dir also immer wieder die Zeit achtsam mit dir selbst umzugehen und dir diesen empathischen Raum zu ermöglichen, deine emotionale Granularität zu erhöhen. Zum Beispiel, indem du unter Anleitung in der GFK-Übungsgruppe „See-Zeit“ übst.

Mich selbst halten – immer öfter

Indem ich Strategien für mich finde und diese regelmäßig in meinem Alltag praktiziere, kann ich nicht nur meine emotionalen Krisen besser bewältigen, sondern auch eine tiefere Verbindung zu mir selbst aufbauen. Jeder Schritt in Richtung Selbstempathie und Achtsamkeit bringt mich einem gelasseneren und bewussteren Umgang mit meinen Gefühlen näher – immer öfter auch dann, wenn mein Autopilot übernimmt.

Nur wenn wir selbst gut stehen, können wir andere gut halten.“ Kati Bohnet

Im Sinne von Kati Bohnet können wir in Notsituationen unsere jüngeren Anteile dann halten und sein lassen, wenn wir mit all unseren Anteilen immer wieder und Kontakt kommen und in Verbindung sind.

Übungsmöglichkeiten, um GFK-Vokabeln zu lernen und immer mehr alltagstaugliche Worte zu finden, sich selbst und anderen Empathie zu schenken und die Qualität der Aufrichtigkeit zu durchdringen, gibt es in der Übungsgruppe See-Zeit. NEU Online mit alltagstauglichen einstündigen Terminen und weiterhin samstags in Präsenz – aktuelle Termine findest du hier.

Im nächsten Seefunk geht es um ….
Lass dich überraschen, oder schreib mir deine Idee(n).

Herzlichen Gruß zu dir, Sabine Dieterle



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