Folge 1 mit Podcast und Körperübung als Audio
Podcast zum Text:
Körperübung zur Selbstverbindung:
Lesezeit: 10 min
Anknüpfend an unseren letzten seefunk-Beitrag gibt es über den Sommer und im beginnenden Herbst eine seefunk-Beitragsreihe die den Faden mit dem „nervig“ sein einmal in unsere eigene Richtung weiterspinnt.
„Das war wieder typisch!“, „Wie konntest du nur?“, „Das habe ich schon wieder nicht geschafft!“, „Wie dumm von mir!“, „Ich bin nicht gut genug!“. Kennst du solche oder ähnliche ärgerliche Sätze an dich selbst?
Also ich kenne das ganz gut. Es gibt Momente, da gehe ich mir ständig selbst auf die Nerven. Das können Kleinigkeiten sein, wie zum Beispiel, dass ich zweimal in die Wohnung zurück muss, bis ich fertig bin, oder dass ich oben in der Wohnung im 3. Stock ankomme und merke, dass ich die Wäsche aus dem Keller holen wollte.
Schwieriger ist es für mich, wenn ich mich selbst im Umgang mit anderen nerve, z.B. weil ich denke, dass ich so, wie ich bin, nicht gut ankomme, oder weil ich denke, dass ich im Nachhinein nicht das gesagt habe, was ich gerne gesagt hätte, oder weil ich mich im Kontakt mit den Kindern oder meinem Mann meckernd und nörgelnd erlebt habe, so wie ich mit anderen bestimmt nicht umgehen will, oder weil ich eine versprochene E-Mail nicht verschickt habe, oder weil ich zu spät zu einer Verabredung gekommen bin und so weiter.
Ich tue oder sage etwas, das mich ärgert. An manchen Tagen sind diese Gedanken endlos, an anderen taucht dieses „Gedanken-Selbstabwertungskarussell“ in meinem Kopf kaum auf. Immer dann, wenn sich das Karussell besonders schnell dreht – gerne nachts – empfinde ich es als furchtbar anstrengend, bei mir zu sein. Geht es dir auch so?
Marshall Rosenberg sagte: „Jede Abwertung, die mir durch den Kopf geht, ist eine Gelegenheit zu üben. Erst wenn ich hunderte Male urteile und dann übe, wird es für mich zur Gewohnheit, darüber nachzudenken, was ich fühle und brauche“.
Um im Sinne von Marshall Rosenberg diesem Ärgern konstruktiv auf die Spur zu kommen, wollen wir uns in den nächsten Folgen mit diesem Umgang mit uns selbst und mit unserem Genervtsein beschäftigen. Mit Hilfe der drei Säulen der Gewaltfreien Kommunikation und mit Hilfe der vier bzw. in einer Variation sogar in fünf Schritten.
Zuerst möchte ich etwas zu den 3 Säulen der GFK sagen. Inbal Kashtan, eine GFK Trainerin mit israelischen Wurzeln, hat dazu ein Bild gefunden, das ich gerne mit dir teilen möchte. Der GFK-Baum des Lebens:
Bildquelle zum GFK-Baum des Lebens mit Text als pdf downloadbar von Inbal Kashtan: https://johngather.de/de/gfk-baum-des-lebens/
Bevor ich weitere Informationen dazu gebe, möchte ich dich einladen, das Bild in Ruhe zu betrachten, was fällt dir auf? Was assoziierst du mit diesem Bild? Welche Ressourcen entdeckst du?
Ich würde sehr gerne von dir lesen oder hören, welche Ideen du mit dem Bild verbindest. Hast du Lust, darüber zu schreiben oder dich in der nächsten Übungsgruppe See-Zeit darüber auszutauschen?
Hier nun meine Essenz zu dem, was Inbal Kashtan erarbeitet hat:
Inbal Kashtan hat das Bild des Baumes gewählt, weil es ein klares Bild davon vermittelt, gleichzeitig in sich selbst und in der Erde verwurzelt zu sein und seine Äste zu den anderen und zur Welt auszustrecken.
Der GFK-Baum des Lebens lädt uns ein, zu erkennen, dass wir in jedem Moment unseres Lebens die Wahl haben, unsere Aufmerksamkeit auf eine von drei Möglichkeiten der Verbindung zu richten. Diese sind
– Selbstverbindung/Selbstempathie
– Empathie mit anderen
– Selbstausdruck/ Aufrichtigkeit gegenüber anderen
In der heutigen ersten Folge beschäftigen wir uns näher mit den Wurzeln:
Selbst-Verbindung/Selbst-Empathie als Grundlage für die Verbindung mit anderen
So wie Baumwurzeln einen starken Baum bilden, der unabhängig von Wetter und anderen Umständen tief verwurzelt ist und sich gleichzeitig zum Himmel strecken kann, so ermöglichen uns die Wurzeln der Selbstverbundenheit die Erfahrung von Wahlfreiheit und eine kraftvolle, authentische und mitfühlende Beziehung zu anderen. Aus starken Wurzeln der Selbstverbundenheit können Authentizität und die Fähigkeit, sich mit anderen zu verbinden, wachsen. Anstatt automatisch zu reagieren und dabei möglicherweise die Verbindung zu uns selbst und anderen zu verlieren, ermöglicht uns eine starke innere Basis, in unseren Reaktionen flexibler zu werden. Um im Bild zu bleiben: Wir können uns mit dem Wind wiegen, anstatt uns zu verbiegen oder zu brechen.
Selbst-Empathie findet mit uns selbst statt, z.B. als Gespräch mit uns selbst in unserem Inneren, als Berührung, die wir uns selbst bewusst geben, als Betrachtung unseres Inneren, unserer verschiedenen Wesensanteile (unseres inneren Teams), als offener, wertschätzender, neugieriger Kontakt mit uns selbst.
Von den Wurzeln nach oben: Von selbstverbunden zu verbunden mit anderen
Mit stärkerer Verbindung zu uns selbst können wir weitere Entscheidungen treffen: Was will ich als Nächstes tun? Wie will ich in Verbindung treten? Dabei geht es nicht darum, eine Strategie zu finden, wie man die Herausforderung mit einem Gegenüber auf der Sachebene bewältigen kann. Vielmehr geht es darum, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken wollen, um in Verbindung zu kommen.
Auf den Ausdruck unserer Erfahrung, auf die Aufrichtigkeit, d.h. etwas, was uns sehr beschäftigt, loszuwerden, zu teilen, uns dem anderen damit zu zeigen, echt, offen. Oder wir konzentrieren uns auf die Verbindung mit der Erfahrung der anderen Person, auf die Empathie, darauf, mich in die Welt der anderen Person hineinzuversetzen, wirklich verstehen zu wollen, was die*den andere*n bewegt. Es gibt kein vorgefertigtes Muster, wir können uns immer wieder neu entscheiden, wo wir unsere Aufmerksamkeit hinlenken. Zurück zum Bild: Die beiden Äste des Baumes repräsentieren die Fokus-Optionen Empathie und Selbstausdruck. Sie stehen uns jederzeit zur Verfügung, wenn wir mit anderen Menschen in Beziehung kommen möchten. Haben wir Zugang zur Wurzel, zur Selbstverbundenheit, unterstützt dies alles, was in unserer Kommunikation mit uns selbst und zu anderen geschieht.
Selbstempathie ist etwas, das wir üben können, möglichst jeden Tag, und es gelingt uns am besten, wenn wir es so üben, dass es zu uns passt. Es gibt also nicht die Selbstempathie. Es gibt deine und meine Form der Selbstempathie und die kann sehr unterschiedlich sein.
Durch diese Verbindung mit mir selbst bin ich in der Lage zu spüren, was in mir los ist. Zu verstehen, was hinter einem Satz wie: „Wie konntest du nur?“ steckt. Ich fühle meine einzigartigen Gefühle und richte meine Aufmerksamkeit auf meine Bedürfnisse, nach denen ich mein Denken und Handeln ausrichte. Mit der Übung werde ich auf diese Weise sensibler für mich selbst, und mit dieser Achtsamkeit für mich selbst habe ich auch mehr Spielraum für die Achtsamkeit im Umgang mit anderen.
Marshall Rosenberg sagte dazu: „Wenn wir innerlich gewalttätig gegen uns selbst sind, ist es schwierig, anderen gegenüber einfühlsam zu sein.“
In dem Lied „See me beautiful“, das Marshall Rosenberg immer wieder in seinen Seminaren gesungen hat, wird die Schönheit der Menschen und ihrer Bedürfnisse eingefangen: „Sieh die Schönheit in mir, schau auf das Beste in mir, das ist es, was ich wirklich bin und alles, was ich sein möchte.“
Wenn du noch Lust hast Selbstempathie zu üben, dann lade ich dich ein zu einer geführten Körperübung. Diese findest du als separate Audiodatei zu Beginn dieser Folge.
Und ich freue mich, wenn du wieder einschalten wirst. Bei der nächsten seefunk-Folge im Lauf des August liest und hörst du, wie es von den Wurzeln ins Geäst weiter geht, zur Empathie und zum Selbstausdruck
Herzliche Grüße
Sabine Dieterle
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Quellen zum Text und für’s weiter Umgehen mit dem Thema sind:
Gerlinde Ruth Fritsch:
„Praktische Selbst-Empathie“, 2012, Junfermann-Verlag und
„Der Gefühls- und Bedürfnisnavigator“, 2010, Junfermann-Verlag
Bildquelle zum GFK-Baum des Lebens und Text von Inbal Kashtan:
https://johngather.de/de/gfk-baum-des-lebens/
Film-Schnipsel: „See me beautiful mit Marshall B. Rosenberg”