Auf den letzten Drücker – vom Aufschieben und wie die GFK hilft, damit umzugehen

Folge 2

Blogtext (für die Visuellen), Lesezeit ca. 10 min,
Podcast (für die Auditiven), mit Selbstreflexion und Beispiel von Sabine anhand des Übungsblattes
Übungsblatt zum Erforschen des eigenen Aufschiebens (für die Haptischen und Ausprobierer*innen) parallel zum Podcast möglich

Podcast zum Text:

Blogtext: Lesezeit: ca 10 min

In der heutigen 2. Folge wollen wir uns noch intensiver mit dem Prokrastinieren beschäftigen, indem wir auf die Gefühle und Bedürfnisse dahinter blicken und Lösungen finden, die nachhaltiger sind und uns in die Lage versetzen, mit uns selbst in Verbindung zu bleiben – auch wenn wir aufschieben.

Wenn du unsere letzte Folge gehört hast, hast du dich vielleicht schon mit unserem Übungsblatt und deinem eigenen Aufschiebeverhalten theoretisch beschäftigt. Oder hast du gleich für ein aktuelles Beispiel gesorgt und bist bei deinem Vorhaben geblieben? 😉

Egal, ob du es schon versucht oder aufgeschoben hast, hier sind die Fragen, um dich jetzt zu reflektieren:

Wann prokrastinierst du?

Welche guten Gründe hast du, Aufgaben zu verschieben?

Welche Gefühle hast du im Vorfeld, die dazu führen, dass du Aufgaben auf die lange Bank schiebst?

Welche Bedürfnisse erfüllst du dir durch das Verschieben?

Welche guten Gründe hast du, Aufgaben früher zu erledigen?

Welche Bedürfnisse werden dadurch erfüllt?

Wie fühlst du dich dann?

Übung zur Folge: Wann prokrastinierst Du?

Gefühls- & Bedürfnisliste zur Übung

Erinnerst du dich noch an Max, der sich meistens einen Tag vor dem Abgabetermin an seine Hausarbeit setzt? An dieses Beispiel wollen wir anknüpfen. Wir wissen: Ein Gefühl ist immer ein Hinweis auf ein dahinter liegendes Bedürfnis – wenden wir uns also dem zu, was hinter Max‘ Gefühlen verborgen sein könnte:

Max empfindet Ärger, weil ihm Verbindung zu seiner Frau wichtig ist, und er nun wieder die Nacht am Schreibtisch statt bei ihr im Bett verbringt und ihr womöglich am nächsten Tag mit seiner schlechten Laune ebenfalls die Stimmung verdirbt. Vielleicht auch ein wenig Scham, weil ihm ein erfolgreicher Studienabschluss und damit Anerkennung wichtig sind – oder Freiheit in Form von finanzieller Sicherheit, die er sich nach Studienabschluss durch den Aufstieg in eine Führungsposition ermöglichen möchte. Neben den belastenden Gefühlen, die auf die unerfüllten Bedürfnisse hinweisen, die durch das Aufschieben entstehen, hat Max auch angenehme Gefühle und erfüllte Bedürfnisse, weil er die Hausarbeit aufgeschoben hat:
Freude über einen lustigen Abend beim Computerspielen mit seinen Freunden. Wohlbefinden und erlebte Entspannung nach einem langen Arbeitstag, anstatt nach Feierabend weiterhin die Nase in Bücher zu stecken und fürs Studium weiterzuarbeiten. Erleichterung, sich trotz aller Auseinandersetzungen konstruktiv über die Herausforderungen des Aufschiebens austauschen zu können und sich im Zusammenleben mit seiner Frau angenommen, unterstützt und geliebt zu wissen. Durch die Prokrastination hat Max sich also auch einige erfüllte Bedürfnisse, wie z.B. Freiheit, Entspannung, Unterstützung und Verbindung ermöglicht.

Prokrastination bedeutet also einerseits unerfüllte Bedürfnisse, die z.B. mit Selbstabwertung und evtl. Konflikten mit der Umwelt (Ehefrau, Professor, Eltern, Freunde) einhergehen, andererseits erfüllte Bedürfnisse wie Freiheit und Entspannung durch die gewonnene Zeit, in der man prokrastiniert. Wenn es Max gelingt, sich seiner Bedürfnisse und seiner Gefühle bewusst zu werden, kann er durch die Konzentration auf die wichtigsten Bedürfnisse neue Wege und Strategien entwickeln, um mit dem Aufschieben umzugehen:

  1. Kleine Schritte auf dem Weg zum persönlichen Ziel
    Wenn Max sich zum Ziel setzt, in Zukunft weniger zu prokrastinieren, kann er dies durch Konzentration auf seine Hauptbedürfnisse erreichen. Diese sind: Verbindung, (finanzielle) Sicherheit und Anerkennung. Er kann sich vornehmen, seine Abschlussarbeit früher zu schreiben, weil er nun weiß, was er erreichen will, und er kann konkrete Strategien entwickeln, um sein Aufschiebeverhalten in kleinen, für ihn stimmigen Schritten zu verändern:
    • Max schafft sich einen Ort und eine Zeit, in der er ungestört und konzentriert an seiner Hausarbeit arbeiten kann. Dazu trägt er feste Termine in den Kalender ein. Er kann noch mehr in den Kalender eintragen, im Sinne einer visuellen Erinnerung, dass er auch Zeit für angenehme Aktivitäten einplant und sich nimmt, z.B. mit seiner Frau und Freunden.
    • Max stellt sich vor, wie er sich fühlen wird und wie der Moment aussehen wird, wenn er die Arbeit pünktlich abgegeben hat. Er kann auch noch einen Schritt weiter gehen und sich den Abschluss seines gesamten Studiums vorstellen. Konkrete Bilder und Formulierungen können ihm dabei helfen. Wie sehr wird sich Luisa freuen, wenn er die Hausarbeit ohne Nachtschicht abgeben kann. Was kann er sich mit dem Abschluss des Studiums leisten? Was möchte er mit dem dann höheren Gehalt anfangen? Es hilft Max auch, sich an Situationen zu erinnern, in denen er den „inneren Schweinehund“ schon einmal überwunden hat. Wie ist ihm das damals gelungen? Was hat ihm geholfen?
    • Max aktiviert sein direktes Umfeld, ihn während des Studiums zu unterstützen. Wo kann Luisa ihm den Rücken freihalten? Welche Freiräume kann sein Chef ihm für sein Studium einräumen? Mit welchen Studienkolleg*innen kann er sich wechselseitig zum Dranbleiben motivieren?
  2. Es kommt auf die Perspektive an – weg von „Man sollte …“ hin zu „Für mich passt…“.
    Es ist also genauso gut möglich, dass Max die Prokrastination als eine seiner Eigenschaften – ja sogar Stärken – anerkennt. Sicher kennt Max die Prokrastination nicht erst seit gestern. Sie begleitet ihn vermutlich seit der Schulzeit und hat ihm bereits damals einiges ermöglicht. Sein Abi und sein erstes Studium hat er bereits erfolgreich absolviert – trotz (oder gerade wegen?) der Prokrastination. Wieso sollte ihm dies nicht ein weiteres Mal gelingen? Es kann daher ebenfalls ein gangbarer Weg sein, die Prokrastination nicht zu bekämpfen oder das Verhalten in Bezug auf lästige Aufgaben zu verändern, sondern liebevoll mit sich selbst zu sein und anzuerkennen, dass man eben ein Typ Mensch ist, der Aufgaben erst in allerletzter Sekunde erledigt – mit Erfolg!

Dies sind einige Möglichkeiten, sicher wird Max bei der weiteren Beschäftigung mit seiner Prokrastination noch mehr Strategien entwickeln und erste Schritte im Umgang für sich selbst und im Kontakt mit seinen Mitmenschen finden.

Welche Strategien findest du, um mit deinem Aufschieben umzugehen, wenn du dich auf deine Hauptbedürfnisse konzentrierst?

Aufgaben, vor denen wir uns drücken, können uns einen Hinweis darauf geben, WARUM wir gerade diese Aufgabe so unangenehm finden. Vielleicht stellen wir dann fest, dass es eine einleuchtende Erklärung für unsere „Aufschieberitis“ gibt. Die Erkenntnis, WARUM wir gewisse Dinge immer wieder aufschieben, ermöglicht es uns, die Ursache zu bearbeiten, statt nur an den Folgen etwas zu ändern.

Und noch ein letzter Gedanke: Prokrastination und Perfektionismus liegen oft nah beieinander. Menschen, die gerne alles perfekt erledigen, werden wohl nie an einen Punkt kommen, an dem sie sagen: „JETZT habe ich Zeit, mich der Aufgabe anzunehmen, vor der ich mich schon seit Tagen drücke“. Sie werden immer noch etwas anderes, ebenso dringliches zu tun haben. Weil sie alles zu 100% gut machen wollen und möglichst bei niemandem anecken wollen, laden sie sich selbst zu viel auf und es gelingt ihnen dann nicht, alle Aufgaben rechtzeitig zu bewältigen. Häufig lohnt sich dabei zu prüfen: Wozu sage ich ja?
Mein „Ja“ zu anderen ist manchmal ein „Nein“ zu mir selbst. Ich kann mich immer wieder neu entscheiden, wozu ich „Ja“ und wozu ich „Nein“ sagen will. Und ich kann andere um Unterstützung bitten.

Alle Dinge, die es wert sind, getan zu werden, sind es auch wert, unvollkommen getan zu werden.“ Marshall Rosenberg

Vielleicht kann ich es aushalten, nicht jede Aufgabe zu 100% zu erledigen, sondern auch mal nur zu 80%? Abwesenheit von Struktur kann mich ebenfalls im Alltag unterstützen, weil dann mehr Platz im Kopf und Flexibilität für unvorhergesehenes bleibt. Dann ist es auch nicht mehr so verlockend, Aufgaben aufzuschieben, weil ich mir dann von vornherein Zeit für Pausen und für Schönes einplanen werde.

Wir wünschen dir Mut, Nachsicht, Unterstützung und Humor bei der Selbstreflexion. Und neue Ideen und Strategien, um deine Form der Prokrastination anzunehmen oder in deinem Sinne weiterzuentwickeln.

Herzliche Grüße,
Catharina Bihr und Sabine Dieterle

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