Wenn’s sperrig wird im Miteinander

Kommunikationssperren überwinden

Blogtext (für die Visuellen), Lesezeit ca. 10 min,
Podcast (für die Auditiven)
Und Handout mit Kommunikationssperren und Beispielen zum weiter forschen und vertiefen. Das geht auch in der GFK-Übungsgruppe „See-Zeit“ jetzt NEU Online und weiterhin in Präsenz

Podcast zum Text:

Blogtext: Lesezeit: ca 10 min

„So, dann erklär mir jetzt mal ganz genau wie es sein kann, dass du den Bus verpasst hast?!“
„Du kannst zuerst den Einkauf machen und dann das Telefonat erledigen.“
„Du bist großartig!“
„Mach dir keine Sorgen, das geht schnell wieder vorbei!“
„Wenn Sie keine Überstunden machen, dann ist unser fantastisches Projekt in Gefahr!“
„Du Mimose!“
„Na da wollen wir jetzt doch mal aus einer Mücke keinen Elefanten machen…“

Diese Sätze haben alle eines gemeinsam: sie entstehen in Momenten, in denen es für die sprechende Person darum geht, eigene Bedürfnisse zu schützen oder um die Situation zu gestalten oder sogar zu kontrollieren. Kennst du solche Momente? Hast du solche oder ähnliche Sätze schon einmal gehört oder selbst gesagt?

Was genau in unserem Miteinander passieren kann, wenn solche Sätze die Kommunikation prägen und wie wir in solchen Momenten mit Hilfe der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) konstruktiv miteinander umgehen können, wollen wir in der heutigen Folge des Seefunks erkunden.

Für diese Sätze gibt es einen Fachbegriff: Kommunikationssperren. Thomas Gordon (1918 – 2002) prägte diesen Begriff, um eine Art der Kommunikation zu beschreiben, die darauf abzielt, die Gefühle des Gegenübers nicht zu akzeptieren, sondern zu verändern. Gordon gehörte zu den Wegbereitern der humanistischen Psychologie. Er war davon überzeugt, dass Menschen, die in einer liebevollen und freien Umgebung aufwachsen, bereit sind, Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen und in der Lage sind, ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen. In seiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen untersuchte er, welche Kommunikationsformen diese positive Entwicklung erschweren können. Nach Gordon stellen Kommunikationssperren ernsthafte Hindernisse dar, die den offenen Austausch von Gedanken und Gefühlen zwischen Menschen erheblich erschweren. Typische Erscheinungsformen von Kommunikationssperren sind Abwehrreaktionen, Schuldzuweisungen, Verallgemeinerungen, unklare und mehrdeutige Botschaften und auch Ablenkung und Lob. Die von ihm identifizierten zwölf Kategorien machen deutlich: wie entscheidend es für unser Miteinander ist sich der eigenen Intention und der Wirkung von Worten bewusst zu sein. Eine Übersicht mit Beispielen, um für dich noch etwas genauer zu forschen, findest du im Handout am Ende der Folge.

In Situationen, die uns herausfordern und in denen wir mit etwas Abstand vielleicht erkennen können, dass es eigentlich darum geht, Nähe zu uns selbst und zu anderen zuzulassen, weichen wir gerne auf Kommunikationssperren aus. Das fühlt sich zunächst sicherer an, wir haben den Eindruck, den Moment damit unter Kontrolle zu bringen. Tatsächlich aber blockieren wir damit die Verbindung zu uns selbst und zu anderen und trennen uns von unseren Gefühlen. Außerdem verlassen wir den Kontakt auf Augenhöhe und begeben uns in eine überlegene Position. Deshalb werden Kommunikationssperren in der Gewaltfreien Kommunikation auch als Dominanzstrategien bezeichnet, weil wir damit, meist unbewusst, das, was andere fühlen und was wir nicht so gut aushalten können, in unserem Sinne verändern wollen. Wir schützen uns damit vor Gefühlen, die wir nicht ertragen können. Oder wir glauben zu wissen, was für andere gut ist und streben damit eine schnelle Lösung der für uns unangenehm erlebten Situation an. Gleichzeitig nehmen wir anderen die Möglichkeit, ihre Probleme eigenverantwortlich zu lösen und uns selbst die Chance, in einen aufrichtigen Kontakt mit unserem Gegenüber zu kommen.

„Die Energie, die wir in unsere Worte legen, ist entscheidend. Wenn wir mit der Absicht kommunizieren, zu überzeugen oder zu dominieren, werden wir die Verbindung zu unserem Gegenüber verlieren.“ Marshall Rosenberg

Es kommt also nicht so sehr auf die Worte an, die wir wählen, sondern auf die Absicht, die dahintersteht, und darauf, dass wir sie wahrnehmen.

Gerade in Gesprächssituationen mit Kindern und Jugendlichen sind diese Kommunikationssperren oder auch Dominanzstrategien häufig anzutreffen. Vielleicht erkennst du dich in den einleitenden Beispielen wieder, z.B. durch Erfahrungen, die du als Kind oder Jugendliche*r gemacht hast, Strategien, die du im Umgang mit deinen eigenen Kindern und Jugendlichen anwendest, Szenen aus deinem letzten Partnerschaftsstreit oder aus Gesprächen im Arbeitskontext, Arten und Weisen, wie du mit anderen oder mit dir selbst sprichst. In solchen Gesprächssituationen ist es oft besonders schwierig, die Sichtweise der*des anderen zu verstehen oder die eigenen Bedürfnisse klar und verständlich auszudrücken. Dies führt häufig zu Missverständnissen, die zu Konflikten führen können. Kommunikationssperren sind oft unbewusst und tief in unserem Kommunikationsverhalten eingeprägt. Manche dieser Phrasen gibt es in unseren Familien schon seit vielen Generationen, und manchmal wissen wir bei genauerem Hinsehen gar nicht mehr, warum wir sie gesagt haben, z.B. so etwas wie: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, entscheide ich.“

„Die meisten Menschen sind nicht in der Lage, zu hören, was wir sagen, wenn wir in einem kritischen oder anklagenden Ton sprechen. Unsere Worte können wie eine Waffe wirken, die den Dialog beendet.“ Marshall Rosenberg

Die Verwendung dieser Sprachmuster passiert meist spontan und ohne dass wir uns ihrer negativen Auswirkungen bewusst sind. Sie erschweren nicht nur die Kontaktaufnahme, sondern können auch konstruktive Gespräche blockieren oder stark verlangsamen. Letztlich verhindern Kommunikationssperren / Dominanzstrategien, wenn sie von meinem Gegenüber als solche wahrgenommen werden, eine offene und ehrliche Kommunikation und den Aufbau echter Beziehungen.

Was also tun?

Wir gehen mit einem Beispiel ins Detail und schauen von drei Perspektiven auf einen Satz.
Aus der Perspektive der Selbstempathie, der Empathie und des aufrichtigen Selbstausdrucks.

„Da ist ja gar nichts passiert, wie kann man einen ganzen Tag brauchen, um genau gar nichts aufzuräumen?“

Stell dir eine Person vor, die diesen Satz zu dir sagt. Eltern, WG-Mitbewohner*in, Partner*in, Arbeitskollege*in, Vorgesetzte*r.

Angenommen, der Satz erwischt dich in einem für dich sehr anstrengenden Moment. Deine erste Reaktion wäre vielleicht im Sinne des Autopiloten direkt zurückzuschreien oder dich erschrocken zurückzuziehen. Aber du hast Erfahrung mit der GFK und öffnest sinnbildlich deine Giraffenohren. Du merkst, dass es an der Zeit ist, dich in dich selbst einzufühlen, die Giraffenohren nach innen auszurichten – Zeit für Selbstempathie. Manchmal ist dies erst im Nachhinein möglich. Ein solcher Moment kann auch erst nach einer Autopilot-Situation eintreten. Folgende Fragen können wir uns selbst stellen:

„Wie geht’s mir gerade mit dem, was ich höre?“
„Was ist mir wichtig, um mit diesem Moment weiter gut umzugehen? Was brauche ich?“

Eine Reaktion in meinem einfühlsamen Moment mit mir selbst könnte so klingen:
„Puh, ich bin erschrocken und ärgerlich, weil ich erst gefragt werden möchte, bevor ich so einen Vorwurf höre. Ich will meine guten Gründe sagen können, warum ich etwas nicht gemacht habe oder was ich stattdessen gemacht habe. Genau, dass das, was mir wichtig ist, von Bedeutung ist und dass man mir zuhört, darum geht es mir.

Und wir können, wenn wir die GFK als Haltung in unserem Miteinander leben, mit zwei weiteren Möglichkeiten der Verbindung umgehen, wenn uns jemand mit einer Kommunikationssperre, mit einer Dominanzstrategie begegnet. Nehmen wir an, es geht mir gut, ich bin mit mir im Reinen, wenn ich diesen Satz höre:

„Da ist ja gar nichts passiert, wie kann man einen ganzen Tag brauchen, um genau gar nichts aufzuräumen?“

Dann kann ich mich empathisch mit meinem Gegenüber verbinden. Ich kann mich einfühlen und mir vorstellen, was in ihm oder ihr vorgeht, wenn dieser Satz fällt. Dazu kann ich mir folgende Fragen stellen, um mich einzufühlen

„Wie fühlst du dich, wenn du diesen Satz sagst?“
„Was erwartest du von unserem Miteinander? Was ist dir wichtig? Wofür setzt du dich ein?
Was brauchst du?“

Als „Straßengiraffe“ (wenn ich mich in der Haltung der GFK sprachlich wohl fühle) bin ich in der Lage, mit meinem Gegenüber in Kontakt zu treten und mich in sie*ihn einzufühlen.
Hier einige Möglichkeiten der Empathie:

„Ich könnte mir vorstellen, dass du ganz schön genervt bist, weil du dich schon auf einen gemütlichen Abend in einem aufgeräumten Wohnzimmer gefreut hast?“,
„Bist du frustriert, weil du’s gerne ordentlich magst?“

oder
Angenervt, weil du sicher sein willst, dass Verabredungen eingehalten werden?“


Empathie muss nicht ausgesprochen werden. Sie trägt zur Verbindung bei, auch wenn ich mich schweigend in mein Gegenüber hineinversetze und schweigend den „guten Grund“ vermute, warum die andere Person diesen Satz sagt. Das verändert die Atmosphäre im Raum, weil ich nicht wütend oder frustriert oder ängstlich schweige, sondern in Verbindung mit der anderen Person und der Emotion, die sie*er zeigt, und dem Anliegen, das in einer solchen Kommunikationssperre ja da ist.

„Die Kunst der Kommunikation besteht darin, die Bedürfnisse hinter den Worten zu sehen. Wenn wir das tun, können wir die Kommunikationssperren überwinden.“ Marshall Rosenberg

Die Giraffe wurde von Marshall Rosenberg unter anderem deshalb zum Symboltier der GFK gewählt, weil Giraffen sich perfekt an ihre Umwelt angepasst haben, um an ihre bevorzugte Nahrung – die Blätter der Akazien – zu gelangen, trotz der langen Dornen, die die Pflanzen als Schutzmechanismus entwickelt haben. Der zähflüssige Speichel der Giraffen und die besondere Beschaffenheit ihrer Zunge ermöglichen es ihnen, die Dornen zu ignorieren und dennoch die nährstoffreichen Blätter zu genießen. Diese Anpassungsfähigkeit zeigt, wie Giraffen in der Lage sind, Herausforderungen zu meistern und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: die Nahrungsaufnahme. In der GFK ist Empathie eine zentrale Fähigkeit, die es Menschen ermöglicht, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen und zu verstehen. Empathie erfordert oft, dass wir die „Dornen“ in der Kommunikation – also kritische Bemerkungen, Bewertungen oder defensives Verhalten, Kommunikationssperren oder Dominanzstrategien – ausblenden und uns stattdessen auf die zugrunde liegenden Bedürfnisse und Gefühle konzentrieren.

Und dann gibt es noch eine dritte Verbindungsoption, wenn unser Gegenüber uns mit diesem nun ja schon vertrauten Satz

„Da ist ja gar nichts passiert, wie kann man einen ganzen Tag brauchen, um genau gar nichts aufzuräumen?“

begegnet – der aufrichtige Selbstausdruck. Selbstempathie ist die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse und Gefühle klar zu erkennen und auszudrücken. Aufrichtiger Selbstausdruck bedeutet, ehrlich über die eigenen Emotionen zu sprechen, sich der eigenen Bedürfnisse bewusst zu sein und diese mit anderen zu teilen, während man gleichzeitig Empathie für die Emotionen und Bedürfnisse anderer aufbringt. Aufrichtiger Selbstausdruck ist frei von Bewertungen und Urteilen über sich selbst oder andere. So können wir unsere Gedanken und Gefühle ausdrücken, ohne andere zu kritisieren oder zu verletzen. Dies fördert einen respektvollen und offenen Dialog. Aufrichtigkeit zeichnet sich auch durch eine klare und einfache Sprache aus. Das bedeutet, dass wir unsere Beobachtungen, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten klar und direkt formulieren. Wenn wir offen und ehrlich über unsere Gefühle und Bedürfnisse sprechen, schaffen wir Raum für authentische Beziehungen, wir zeigen uns nahbar, vielleicht sogar verletzlich und schaffen so Raum für Vertrauen und Verständnis.
Und so könnte es klingen, wenn ich reagiere:

„Wenn ich deinen Kommentar höre, bin ich ganz schön gefrustet. Ich habe heute viel Zeit investiert und möchte, dass dies bemerkt wird. Können wir darüber sprechen, wie wir uns gegenseitig unterstützen können?“
oder so
„Ich bin erschrocken über deinen Ton. Die Lautstärke ist im Moment unangenehm für mich, und ich kann kaum folgen. Können wir in 10 Minuten ruhiger weitersprechen?“

Der Verzicht auf Kommunikationssperren, auf Dominanzstrategien im Gespräch ist nicht einfach. Denn wie beschrieben, geben wir damit unsere gewohnten Strategien auf, die uns zum Teil schon sehr lange begleiten und mit denen wir glauben, unsere Beziehungen zu anderen Menschen steuern zu können. Das kann Angst machen. Wenn wir das Wagnis eingehen, mit dem Bewusstsein und der Klarheit für Kommunikationssperren ins Miteinander zu gehen, dann öffnen wir die Tür für echte Begegnung, Kontakt und aufrichtigen Austausch. Wenn wir seltener im Autopilot, sondern häufiger mit Selbstempathie, Empathie und Aufrichtigkeit reagieren, führt dies zu einer offeneren, respektvolleren und effektiveren Kommunikation, die die Bedürfnisse aller Beteiligten berücksichtigt und ein kooperatives Miteinander fördert.

Dann können wir Sätze neu denken:

„Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, entscheide ich fühl dich zu Hause.“

Weitere Anregungen für neue Sätze findest du in der Unicef-Postkartenserie „Niemals Gewalt“ – schön illustriert für Erziehung die Beziehung schafft.

Übungsmöglichkeiten, dir über deine Kommunikationssperren Gedanken zu machen oder immer alltagstauglichere Worte für Empathie zu finden und mehr und mehr zur „Straßengiraffe“ zu werden gibt’s in der Übungsgruppe See-Zeit. Seit September NEU Online mit alltagstauglichen einstündigen Terminen und weiterhin 3 Stunden samstags in Präsenz – aktuelle Termine findest du hier.

Im nächsten Seefunk geht es um Wertschätzung. Was ist der Unterschied zum Loben? Was hat das mit Augenhöhe zu tun? Wir bleiben also noch ein wenig beim Thema Dominanz und Kommunikationssperren und bei den Möglichkeiten, die die GFK bietet, um eine tiefere Verbindung und ein authentischeres Miteinander zu fördern.

Herzlichen Gruß zu dir, Sabine Dieterle

Übersicht mit Beispielen zu den 12 Kommunikationssperren:



Eintragen zum Newsletter sodass du keine Seefunk-Folge verpasst?