Und plötzlich war Beppo da

Blogtext mit Übungsimpulsen
Podcast – für alle, die lieber hören als lesen
Anfangen und dranbleiben – wie bei Beppo Straßenkehrer: GFK üben in der See-Zeit (online & Präsenz) oder im Einführungsseminar Eintauchen in die Gewaltfreie Kommunikation.

Podcast – für alle, die lieber hören als lesen:

Blogtext mit Übungsimpulsen: Lesezeit: ca. 6 min

Und plötzlich war Beppo da

Frisch erholt nach der Sommerpause. Das wäre ich gerne! Gleichzeitig merke ich, dass das mit meinen verschiedenen Rollen – beruflich wie privat – gar nicht so leicht ist. Da ist zwar Sommerfrische und auch Vorfreude auf den Alltag, den ich ja mag, weil ich meine Arbeit mag. Und doch stapeln sich die Aufgaben: Wäscheberge wollen weggeräumt werden, Dinge liegen herum, manches ist längst überfällig – und Neues wächst nach, wie Pilze aus dem Boden.

Neulich war ich auf dem Rad unterwegs zu einem beruflichen Termin. Eigentlich in Eile – und dann fiel mein Blick auf ein Spielstraßenschild mit Sonnenblumen und die Straße dahinter. In diesem Moment war er plötzlich da: der Gedanke „Da ist Beppo.“ Ich stieg ab, atmete durch und machte mir zur Erinnerung ein Foto. Beim Weiterfahren war sie dann da, die Energie: „Atemzug für Atemzug – Besenstrich für Besenstrich.“


„Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.“ Beppo blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: „Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.“

Er dachte einige Zeit nach: Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“

Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“

Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: „Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.“ Er nickte vor sich hin und sagte abschließend. „Das ist wichtig.“

Quelle: Momo von Michael Ende


Die Geschichte von Momo und Beppo Straßenkehrer begleitet mich schon viele Jahre. Und doch berührt sie mich immer wieder neu, weil sie so schlicht und gleichzeitig so tief ist. Seine Einladung, nicht die ganze Straße auf einmal zu sehen, sondern Schritt für Schritt zu gehen, wird dabei für mich mehr und mehr abrufbar – greifbarer, machbarer. Zumindest dann, wenn mir der Alltag eine Erinnerung schenkt – so, wie mit diesem Straßenschild und der Straße die mir da sichtbar wurde.

Und jetzt, während ich schreibe, denke ich an eine Theateraufführung zurück – mein Sohn als Beppo: im Blaumann, mit Mütze, voller Ernst und Hingabe. Die Energie und Weisheit, die in diesen Worten steckt, hat er damals als Grundschulkind so auf die Bühne gebracht, dass ich im Publikum die Freude spüren konnte, die es macht, seine Sache gut zu machen – und dabei auch die Qualität von Pausen zu berücksichtigen.

Ja, meine Sache gut machen – das will ich. Und gleichzeitig will ich auch gut mit mir sein, damit ich Kraft und Energie habe, gut mit anderen zu sein. Gerade dann, wenn ich Gefahr laufe, mich von der Gesamtheit meiner Aufgaben überwältigen zu lassen.

In solchen Momenten hilft mir Beppos Blickwechsel: weg vom großen Ganzen, von der langen Straße, von all dem, was ich noch kehren muss, will und soll – hin zu dem, was jetzt unmittelbar dran ist. Genau dazu lädt auch die Gewaltfreie Kommunikation ein: innehalten, spüren, Gefühlen und Bedürfnissen Raum geben – und von dort aus den nächsten Schritt gehen.

Manchmal hilft es mir, mir Beppos Haltung in kleinen Alltagsübungen bewusst zu machen:

  • Gefühle wahrnehmen: innehalten, bewusst atmen, in den Körper horchen. Mir die Frage stellen: Wie geht es mir gerade wirklich? Alle Gefühle dürfen da sein – auch wenn’s mal nicht so rund läuft.
  • Bedürfnisse spüren: mich fragen, was mir jetzt wichtig ist – Ruhe, Verbindung, Klarheit, Leichtigkeit. Nicht als To-Do-Liste, als bloße Worte, sondern wie kleine Leuchtsignale im Alltag.
  • Im Kontakt üben: im Gespräch präsent bleiben, zuhören, da sein – ohne gleich Lösungen parat zu haben.
  • Wertschätzung ausdrücken: am Abend drei kleine Dinge benennen, die gutgetan haben – ein erledigter Wäschekorb, ein freundlicher Blick, ein Schritt an der frischen Luft.

Manchmal fühlt sich die GFK an wie eine endlose Straße: so vieles, was ich noch nicht gelernt oder „gekehrt“ habe. Vielleicht kennst du die Gedanken: „Das wird nie ein Ende haben.“ Oder: „Das bringt doch nichts.“ Dann wird die Hürde groß, überhaupt loszugehen – oder man bleibt beim gelegentlichen Ausprobieren stehen.

Gerade dann möchte ich dich einladen, dranzubleiben. Auch bei Übungen, die sich erst einmal unangenehm anfühlen oder die du am liebsten weglassen würdest. Im Kontakt mit anderen bedeutet das manchmal, dich zuzumuten, dir Unterstützung zu holen oder etwas von dir zu teilen – etwa die eigene Unsicherheit.

Entwicklung braucht Zeit – und Mut. Es ist nicht das ferne Ziel, das trägt, sondern das Kleine im Alltag: den nächsten Atemzug bewusst nehmen, den nächsten Schritt gehen, den nächsten Besenstrich würdigen – und auch Pausen zulassen.

So entsteht fast nebenbei Bewegung. Irgendwann stellen wir fest: Wir sind weitergegangen, ohne außer Atem zu kommen. Genau das ist Beppos Botschaft: Schritt für Schritt, Atemzug für Atemzug, Besenstrich für Besenstrich.

Und du – was könnte dein nächster kleiner „Besenstrich“ heute sein?

Herzlichen Gruß zu dir, Sabine Dieterle

Wenn du Lust hast, genau solche kleinen Schritte regelmäßig zu üben – Gefühle wahrnehmen, Bedürfnisse spüren, im Kontakt präsent sein, Wertschätzung ausdrücken – dann lade ich dich herzlich zur GFK-Übungsgruppe „See-Zeit“ ein. Dort nehmen wir uns Raum, Schritt für Schritt, gemeinsam zu üben und das im Alltag zu verankern.

Nächste See-Zeit!
Aufrichtigkeit – die „verwegenste“ Verbindungsoption
Nach der Sommerpause üben wir mutigen aufrichtigen Selbstausdruck – ehrlich, respektvoll und verbindend. Starte mit Klarheit und Mut in den Herbst! Samstag, den 27. September 2025 von 11–13 Uhr in der Poststraße 12 in Tübingen

Einsteigen & Eintauchen
Empathisch zuhören – Klar sprechen – Verbindung schaffen. GFK-Grundlagenseminar: Der Schlüssel zu Gesprächen, die wirklich tragen.
Für’s „Eintauchen in die Gewaltfreie Kommunikation“ vom 14.–16. November 2025 in Tübingen gibt’s noch 4 Plätze